Anmerkung: Das Projekt Coop Campus endete im Sommer 2018. Mittlerweile wurden die an die Hermannstraße angrenzenden Gebäude abgerissen. Hier baut die Schöpflin Stiftung. In den neuen Gebäuden soll unter Anderem das „Haus des gemeinnützigen Journalismus“ Platz finden.
Mit einem Friedhof assoziieren wir Gräber, Trauer und Stille. All das finden wir auch auf dem Jerusalem IV Friedhof in Neukölln. Aber es gibt noch mehr: Künstler*innen und junge Menschen haben hier in einem gemeinschaftlichen Projekt ihr kreatives Zuhause gefunden. Ein Besuch beim Coop Campus.
Trübe scheint die Sonne an diesem kühlen Wintertag auf die viel befahrene Hermannstraße. LKWs und Kleintransporter rattern über den Asphalt, links uns rechts neben den Gehwegen befinden sich Friedhofsmauern. Hier, nahe des U-Bahnhofs Leinestraße, wurden vor über 120 Jahren riesige Friedhofsflächen gebaut. Damals befanden sich Neukölln und Rixdorf außerhalb der Stadtgrenzen und dorthin wurde alles verlegt, das innerhalb der Stadtmauern keinen Platz hatte. Friedhöfe und Fabriken zum Beispiel, aber auch alles „Verruchte“ wie Bordelle, Bars und Kinos. Neukölln ist mittlerweile voll bebaut, es gibt nur geringe Flächenreserven – doch die großen Friedhofsflächen gibt es immer noch. Sie sind alle ungefähr gleich aufgebaut und bestückt mit Steinmetzwerkstatt, Blumenladen und Kapelle.
Doch die Friedhöfe werden immer lichter, alte Gräber verschwinden, neue kommen kaum dazu. Auch die Gebäude, wie Kapelle und Steinmetzwerkstatt, werden wenig oder anderweitig genutzt. So wird immer mehr Fläche frei, die die evangelische Friedhofsverwaltung einer veränderten Nutzung zuführt. Unter anderem erhalten gemeinnützige Organisationen die Möglichkeit, Teilflächen zu nutzen. Zum Beispiel der Coop Campus, ein Projekt vom S27 – Kunst und Bildung, der unter dem Motto „Gemeinsam Stadt machen“ Projekte für die Nachbarschaft und die Berliner Stadtgesellschaft anbietet. Vor allem junge Menschen und Geflüchtete arbeiten hier künstlerisch und handwerklich zusammen.
Von der Hermannstraße aus sehe ich schon das Schild vom Coop Campus vor dem ehemaligen Steinmetzhaus zwischen Sträuchern stehen. Durch ein halb geöffnetes Zauntor gehts in den kleinen Vorgarten vor dem Flachbau. Hier treffe ich Stephan Neidert vom Coop Campus. Er gibt mir heute eine Führung über das Gelände und durch die Räumlichkeiten, die Coop in den letzten vier Jahren nutzen konnte. Bereitgestellt vom Friedhofsverband, der weder Miete verlangte, noch Wasser- oder Stromkosten berechnete.
Der Coop Campus zog mit dem Slogan „Garten statt Warten“ ein und bekam neben der Brachfläche im hinteren Teil des Friedhofes auch noch die Gebäude der ehemaligen Steinmetzwerkstatt. Gemeinsam mit 15 jungen Geflüchteten wurde das Haus renoviert und der Garten angelegt. Bevor es an die tägliche Arbeit ging, gab es jeden Morgen ein gemeinsames Frühstück, danach Deutschunterricht. Die Geflüchteten lernten also nicht nur praktische Skills wie das Bauen von Möbeln, Betonieren oder Garten- und Landschaftsbau, sondern wurden auch von den Mitarbeiter*innen von Coop betreut. Man unterstützte sie bei der Wohnungssuche und bei Behördengängen.
Wir laufen durch die Küche und zwei Räume, die für Workshops und Deutschunterricht genutzt und der nachbarschaftlichen Community zur Verfügung gestellt wurden – für Yoga, Gospel-Chor und Kiez-Orchester. Selbst eine Imkerin schleudert hier ihren Honig. Auch Universitäten wie die UDK nutzen den Coop Campus, um in mehrtätigen Seminaren mit Studierenden über neue Formen der Stadtentwicklung zu forschen. Ebenso andere Institutionen, die sich mit Architektur und Stadtplanung beschäftigen.
Nun räumt der Coop Campus die Gebäude wieder. Sie werden abgerissen, um für Neubauten Platz zu machen. Wie uns der evangelische Friedhofsverband mitteilte, werden diakonische Träger, die Selbstbaugenossenschaft und Baugruppen aus dem genossenschaftlichen Umfeld bauen. Entstehen sollen unter Anderem Trägerwohnungen für Menschen mit Behinderung, eine Kita, eine Kiezkantine und ein diakonisches Zentrum für Pflege sowie 140 neue Arbeitsplätze. Voraussetzung ist die Fertigstellung des neuen Bebauungsplanes durch den Bezirk. Bis es losgeht wird der Coop Campus die Gartenflächen aber weiterhin mit verschiedenen Programmen, die die Schlesische 27 organisiert, bespielen. Wie zum Beispiel mit der „Bildungsmanufaktur“, welche Kurse zu Holz, Gips, Design, Video, Foto oder Upcycling anbietet.
Wir laufen über einen Steg im hinteren Teil des Friedhofs zum großen Gewächshaus, welches von den Architekt*innen von raumlabor konstruiert wurde. Das Architekturbüro arbeitet stark politisch und entwickelt Ideen für eine „Stadt von unten“, eine perfekte Symbiose mit dem Coop Campus und so war raumlabor von Anfang an Projektpartnerin. Im Gewächshaus angekommen, gibt es drinnen jedoch keine Pflanzen, sondern große Kunstinstallationen und praktische Konstruktionen, wie zum Beispiel eine mobile Küche mit selbstgebauter Wasserfilteranlage. Oder einen Pflanzenbrutkasten, den der Campus gemeinsam mit den Prinzessinnengärten – einer weiteren Projektpartnerin – erbaut hat. Stephan öffnet die Konstruktion. Die Erde im Inneren ist trotz der Dezemberkälte draußen schön warm und ideal, um selbst jetzt im Winter Tomaten zu züchten. Und das ganz ohne Strom! Die Wärme kommt aus einem speziellen Komposthaufen außerhalb des Gebäudes, der aus Holz-Häcksel und Laub besteht und im Inneren bis zu 60 Grad heiß wird. Mit Hilfe eines Rohr-Systems, durch das kaltes Wasser im Inneren des Komposthaufens zirkuliert und als warmes Wasser wieder rauskommt, um anschließend im Brutkasten damit aufzuheizen. Ich bin begeistert!
Das ist nur eine von mehreren sogenannter „Low-Tech“-Konstruktionen, die im Coop Campus in den letzten Jahren entstanden sind. Sie sind auf vielen Ebenen demokratisch: Man braucht nicht viel, um sie zu bauen – kein Studium, keine ausgefallenen Werkzeuge oder teure Materialen. Zudem ist „Low-Tech“ mit einer klima- und ressourcenschonenden Bauweise nachhaltig. All das lernen junge Menschen hier bei der gemeinsamen kreativen Arbeit.
Wie lange der Campus noch auf dem Friedhofsgelände bleibt, wird sich zeigen. In den nächsten 20 Jahren wird das Gelände nach und nach von gemeinnützigen Trägern bebaut werden. Geplant sind unter anderem soziale Wohnungen für Obdachlose, für Menschen mit Behinderung und eine Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete. Durch die Bauplanungen hat sich die S27 dazu verpflichtet, in den nächsten Jahren innerhalb des Friedhofgeländes immer mal wieder umzuziehen. Kein Problem für den Campus, da viele Konstruktionen einfach versetzt werden können. Es bleibt spannend zu beobachten, wohin sich Coop Campus entwickelt – und für Besucher*innen steht der Campus jedenfalls noch offen.