Story 9 – Ich würde am liebsten ein ganzes Haus zum Cello umbauen

Die Cellistin Veronika Otto ist die gute Fee in der Warthestraße 49. Hier im Haus veranstaltete sie schon zehn Mal ganz besondere Treppenhaus-Konzerte und kommt regelmäßig mit ihren Nachbar*innen zusammen. Auch uns hat sie herzlich bei sich empfangen und über ihre Nachbarschaftsprojekte gesprochen. 

Mit einem warmen Lächeln empfängt mich die freischaffende Musikerin und Cello-Lehrerin Veronika und führt mich ins Treppenhaus der Warthestraße 49. Das geschwungene Holzgeländer windet sich empor, alte Fliesen säumen den Boden. Doch in der Mitte dieses prunkvollen Altbau-Treppenhauses steht wie ein Raumschiff ein gläserner Fahrstuhl. Veronika zeigt auf den Eingang des Fahrstuhls Fahrstuhl-Eingang: „Hier haben wir immer gesessen, sind zusammen gekommen und haben Konzerte veranstaltet. Doch das ist seit dem Bau des Fahrstuhls vor drei Jahren nicht mehr möglich.“ 

Eines solcher Konzerte war „Big Cello“: Dafür hat die Hausgemeinschaft einen großen Corpus gebaut, der an ein Cello erinnerte. Durch das Treppenhaus wurden Saiten über alle Etagen gespannt bis ganz oben. Auf diesen überdimensionierten Cello-Saiten spielten dann Veronikas Schüler*innen und Kollegen*innen mit ihren Bögen. Das war eines der ganz großen Projekte für „48h Neukölln“.

Es gab auch Märchen-Aufführungen im Haus und Kompositionen, bei denen alle Nachbar*innen mitgespielt haben. Zum Beispiel haben die Kinder rhythmisch mit Türen geklappert auf allen Ebenen und sind mit Stöckern in der Hand am Geländern entlang gerannt und haben Rhythmen gespielt. All diese Inszenierungen fanden einmal im Jahr, meist im Rahmen von „48h Stunden Neukölln“, statt und waren von Veronika initiiert und gemeinsam mit den Nachbar*innen umgesetzt. Man kam sich näher, freundete sich an und verband sich mit dem Kiez.  Auch in der Adventszeit saßen die Mieter*innen hier zusammen und haben Plätzchen gegessen, während Veronikas Cello-Schüler*innen Vorspiele gemacht vorspielten? haben. 

Nun ist das leider nicht mehr möglich und auch wir verlassen das Treppenhaus und gehen in Veronikas Wohnung. Hier lebt sie gemeinsam mit ihren zwei schon fast erwachsenen Kindern, hat ihr großes Musikzimmer, einen Garten und eine Terrasse mit Blick in den Park des St. Jacobi Friedhofs. Wir sitzen im gemütlichen Wohnzimmer, Nüsse und frisch gebrühter Rotbusch-Tee stehen auf dem Tisch, Kerzen leuchten. Das Zimmer ist liebevoll eingerichtet, selbstgemalte Bilder hängen an der Wand, Instrumente, geschwungene Vasen und alte Holzschränke stehen an der Seite, während eine Lichterkette über dem Sofa hängt.  

Gegen den Fahrstuhl gab es von der Hausgemeinschaft Proteste, wie mir Veronika erzählt.  Bis auf zwei Parteien wollte den nämlich keiner im Haus, aber sie hatten als Mieter*innen überhaupt keine Chance, da das Haus nicht unter Denkmalschutz steht, konnte der Hausbesitzer machen, was er wollte. Und politisch werden sind solche Maßnahmen wie der Bau eines Fahrstuhls auch gewollt.

Nun ist er da und Veronika hat schon das nächste Projekt im Kopf. Ihre Idee: Eine Aufführung von Außen, diesmal die gesamte Häuserfront bespielen mit allen Balkonen. Es soll eine Geschichte wie Rapunzel aufgeführt werden. Mit großen Pappmaschee-Figuren,  Musiker*innen aus der Straße und mit Laien – denn schon immer waren alle Leute willkommen, mitzumachen. Doch dieses Projekt ist viel schwieriger in der Umsetzung, weil dafür die Straße gesperrt und Genehmigungen eingeholt werden müssen. „Dafür brauche ich natürlich Unterstützung, das kann ich nicht alleine stemmen.” 

Die Hausverwaltung hat die Projekte bisher immer unterstützt – „irgendwie haben die mich lieb“ sagt Veronika und lächelt. Und die Mieter*innen auch. Durch all die Projekte ist sich die Hausgemeinschaft nah gekommen. Hier wohnen Künstler*innen, Journalist*innen, Ur-Berliner*innen, Autor*innen, Pärchen mit Kindern, Maler*innen, Fotograf*innen, Rentner*innen, Studierende und ehemalige Studierende, die sich nun zu Familien formiert haben. 

Früher gab es eine hohe Fluktuation, doch seit Veronika mit ihrer Familie hier eingezogen ist vor 17 Jahren hat sich die Struktur gefestigt, berichtet sie: „Viele wohnen nun schon sehr lange hier und wir haben uns angefreundet und machen viele Dinge zusammen.“ 

Es ist sogar ein Buch entstanden über Menschen der Warthestraße. Geschrieben von einer Mieterin des Hauses 49.

Je mehr ich über das Haus und die Gemeinschaft hier erfahre, desto mehr möchte ich am liebsten hier auch einziehen! Wie kam es eigentlich dazu, dass Veronika hierher gezogen bist, frage ich – denn nach Stationen in Prenzlauer Berg und Kreuzberg war es vor 17 Jahren ja schon eine eher ungewöhnliche Entscheidung, nach Neukölln zu ziehen? 

Veronika lacht: „Ja, unsere Freunde haben uns auch vor Neukölln gewarnt und gesagt: Ihr werdet schon sehen, die ganze Kriminalität, das Milieu dort. Aber meine Antwort war: Wenn der Hype kommt, dann sind wir schon da!“ 

Und so war es dann auch. „Der Kiez hat sich seither total verändert, es gibt viel mehr Läden und Cafés. Früher gab es hier nur einen kleinen türkischen Laden, den gibt es immer noch. Sonst war alles zu.“ 

War das dann nicht sehr einsam? „Irgendwie gefiel mir das, dieses Potenzial, dass man hier was machen kann, dass es hier Freiräume gibt zum Gestalten. Ich mochte diese Leere – gerade hier die Warthestraße war wie das Ende der Welt, überall stieß man an Grenzen: Begrenzt durch das Eisstadion, den Sportplatz und den Flughafen, der damals ja noch geschlossen war. Mir gefiel diese Einsamkeit.“ 

Und passiert ist ihr hier im Kiez auch noch nie etwas. Im Gegenteil, Veronika fühlt sich hier sehr wohl und kennt die Leute in der Straße. Wenn sie die Warthestraße einmal entlang spaziert, führt sie gleich mehrere Gespräche. Beim Friseur hält sie kurz an, trinkt einen Tee und lässt sich erzählen, wie es in Mekka war. Im Cafe Plump Plume plauscht sie mit der Besitzerin oder trifft Nikos, den griechischen Musiker. Manchmal steht Veronika aber auch einfach auf der Straße und spielt Akkordeon. Eines von vielen Instrumenten, die die Musikerin beherrscht. Darunter auch so exotische wie die traditionelle mongolische Pferdekopfgeige, die mir Veronika in Kombination mit dem dazugehörigen Obertongesang vorführt. Es klingt ungewöhnlich und gleichzeitig wunderschön. Erleben kann man ihre Konzerte immer mal wieder in Veranstaltungsorten im Kiez – zum Beispiel in der Kirche am Schillerplatz. 

http://www.veronika-otto-cello.de 

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